Dr. Heike Franz – das Leben ist kein Ponyhof (auf dem Weg in den Abgrund)

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Als Kind war ich das, was man „moppelig“ nannte: ich hatte Babyspeck.

Meine Eltern hatten keine Zeit für uns Kinder, ich bekam Geld in die Hand gedrückt, um mir etwas zu essen zu kaufen. So habe ich mich zeitweise nur von Schokolade ernährt. Hat ja eh niemanden interessiert.

Als ich dann in die Pubertät kam, hat mich ein älterer Junge mal gehänselt. Eigentlich nicht weltbewegend, aber für einen Teenie, zu Beginn der Pubertät, die Katastrophe. Das war dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und mich endgültig in eine Essstörung schlittern ließ.

Magersucht – und ungefähr 0 Selbstbewusstsein. Ich habe immer weniger gegessen, immer mehr Gewicht verloren, bis es dann dramatisch wurde: 28 kg bei 1,70 m Körpergröße, beginnendes Organversagen, Notaufnahme und dann 3 Wochen Intensivstation. Sonst hätte ich nicht überlebt.

„Essen kann doch kein Problem sein. Jetzt reiß Dich mal zusammen“. Durch solche Kommentare kam ich mir total allein gelassen vor.

Nachdem ich etwas zugenommen hatte, war der Druck durch mein Umfeld zwar weg. Ich sah ja „normal“ aus. Aber diese innere Zerrissenheit, die Selbstzweifel und mein gestörtes Verhältnis zum Essen waren sehr treue Wegbegleiter.

Aus Hunger wird Wissenshunger

Viele Jahre später, nach Abschluss des BWL-Studiums und der Promotion, habe ich als Controllerin gearbeitet, und in meiner Freizeit alles „verschlungen“, was mir an Literatur und Studien zum Thema „Ernährung“ in die Finger kam. In der Zwischenzeit gab es ja das Internet, eine schier endlose Quelle.

Mein eigenes Essverhalten hatte sich stabilisiert und Sport war ein fester Bestandteil meines Tagesablaufes. Etwas zu fest, wie ich heute erkenne. Krankheit war jedenfalls kein Grund, nicht zu trainieren. Oft habe ich die Warnzeichen meines Körpers ignoriert. Mein Perfektionismus und mein Wunsch, es allen recht zu machen, haben meistens die Oberhand gewonnen.

Nach einem längeren Auslandsaufenthalt habe ich mir eine Auszeit gegönnt. Da ich einiges gespart hatte, habe ich mich an einer amerikanischen Uni eingeschrieben. Ich wollte eigentlich nur einige Kurse zu den Themen Ernährung und Gesundheit besuchen. Das Ende vom Lied? Eine 2. Doktorarbeit – und das Gefühl, ich weiß zwar jetzt viel mehr, aber es gibt so vieles, was noch gar nicht erforscht ist.

Viel gelernt, aber noch nicht vor der eigenen Haustür gekehrt

In der Zwischenzeit hatte ich die 40 überschritten und machte die gleiche Erfahrung wie viele Frauen: langsam nahm ich einige Kilo zu, obwohl ich an meiner doch recht gesunden Ernährung nichts geändert hatte. Doch der größere Schock war die Diagnose meines Arztes: verfrühte Wechseljahre. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das jetzt die gerechte Strafe war. Für was, konnte ich nicht mal sagen. Jetzt kam auch die Angst hinzu, durch die Wechseljahre die Kontrolle über mein Gewicht total zu verlieren, obwohl ich zu diesem Thema meine Doktorarbeit geschrieben hatte.

Ich fing an sehr viel Gemüse und Salat zu essen, was zwar gesund ist, mir aber Verdauungsprobleme bereitete. Da fand ich es eine grandiose Idee, meinen Urlaub in einer Fastenklinik zu verbringen. Mein Verdauungssystem hatte sich beruhigt und ich fühlte mich „leicht“.

Der Schock kam zu Hause, als mein Fitnesstrainer analysierte, wie es mit meinen Muskeln aussieht. „Du hast Muskeln abgebaut!“.

Oh nein, jetzt ereilte mich wohl genau das Schicksal vieler Frauen in den Wechseljahren: alt, unfit und dick.

In der Theorie wusste ich ja, dass strikte Diät und ein Mega Sportprogramm nicht helfen. Nur, in der Praxis, war ich betriebsblind.

Aber es kam noch schlimmer: ein heftiger und extrem schmerzhafter Bandscheibenvorfall. Mir ging es richtig schlecht, und in dieser Zeit habe ich nur gegessen, worauf ich wirklich Appetit hatte. Egal, ob es in mein „Diät-Mindset“ passte oder nicht. Als ich dann endlich wieder gesund war, hatte sich überraschenderweise mein Gewicht wieder eingependelt. Obwohl ich ganz wenig Gemüse gegessen hatte, keinen Sport machen konnte und Cortison schluckte. Das war mein eigentlicher Wake-Up-Call.

Bereit für den Richtungswechsel

Ich hatte mich dann von der Bandscheiben OP schnell erholt, aber der Chirurg meinte, wenn ich nicht etwas grundlegend ändere, ist der nächste Bandscheibenvorfall fast sicher.

Urlaub und Entspannung – das waren wichtige Elemente, die mir fehlten. Und die ich, ganz auf meine Art, in mein Leben geholt habe: Urlaub mit Yogalehrerausbildung und Fitnesstrainerzertifizierung – gründlich und übertrieben – wie schon so oft in meinem Leben. Gut ist nicht gut genug. Den Perfektionismus wird man so schnell nicht los, aber ich habe so nach und nach gelernt, auch mal einen Abend ohne Unterlagen, mit lieben Menschen zu verbringen. Wenn auch zu Beginn mit leichten Schuldgefühlen.

Aber die Kurskorrektur war unwiderruflich eingeleitet: die vielen Geschäftsreisen waren spannend, ich lernte viele Städte und interessante Menschen kennen. Aber eigentlich kannte ich nur die Flughäfen, 5-Sterne Hotels und unsere Büros. Und mein Körper war immer unter Anspannung. Es muss sich was ändern. Radikal.

Dann kam Marion

Marion war eine meiner ersten Coaching-Kundin, die ich neben meiner Festanstellung betreut habe. Sie hatte etwas zugenommen. Wechseljahre, 5 kg mehr, nicht dramatisch. Aber alle Bemühungen liefen ins Leere. Sie hatte damals einen angesagten Personal Trainer angeheuert, der sie auf strikte Diät setzte und ein absurd hartes Trainingsprogramm absolvieren ließ. Das Resultat? Kein Gramm weniger, der Junge hatte sie dann beschimpft und ihr mangelnde Disziplin unterstellt. Ihre Frage, ob das nicht vielleicht mit den Wechseljahren zu tun haben könnte, konnte er nicht beantworten. Wahrscheinlich wusste er gar nicht genau, was das ist. Er wurde gefeuert.

Durch gemeinsame Freunde kannte Marion meine Geschichte und hatte sogar meine Doktorarbeit gelesen. Spoiler alert: wissenschaftliche Abhandlungen sind keine spannende Lektüre. Aber sie wollte unbedingt meine Expertise nutzen, weil sie durch meine 300-Seiten Arbeit überzeugt war.

Nachdem ich einige Wochen mit ihr gearbeitet hatte, klappte es plötzlich. Sie passte locker wieder in ihre Lieblingsjeans, obwohl sie gar nicht so viel Gewicht verloren hatte. Mit einer Frau im gleichen Alter spricht es sich leichter über Themen, die man nicht unbedingt mit einem jungen Trainer, egal ob männlich oder weiblich, besprechen möchte.

Meine Berufung

Marions Geschichte hat mir gezeigt, was ich in Zukunft machen will. Ernährungscoaching. Ich wollte schwerpunktmäßig mit Frauen in den Wechseljahren arbeiten, da dies so eine spannende Lebensphase ist. Viele Frauen, denen ich bisher begegnet bin, fühlen sich missverstanden, nicht ernstgenommen und leiden zum Teil erheblich. Sie haben das Gefühl, jetzt geht es nur noch bergab: Alter, Krankheit und dann der Tod. Dabei können die Wechseljahre eine ganz große Chance sein. Und die meisten Frauen haben noch 30-40 Jahre vor sich. Diese Jahre können zu den besten des Lebens werden, wenn wir den Weckruf hören.

Es macht mich heute unendlich dankbar und glücklich, wenn ich sehe, wie die Frauen aufblühen. Es ist ja nicht nur das Aussehen, sondern auch die Energie Kraft, Lebensfreude und Optimismus, die zurückkommen.

3 Kommentare zu „Dr. Heike Franz – das Leben ist kein Ponyhof (auf dem Weg in den Abgrund)“

  1. Sehr sehr überraschend … wir sind wirklich Held*innen.
    Seit Jahrezehnten fahre ich mit der Überforderung und einem enormen Anspruch durchs Leben, als ehemalige Krankenschwester, Alleinerziehende, Arbeitslose, mit noch zwei gelernten Berufen, Angestellte – nach Burnout und Depressionen, Zum Schutz wieder im Krankenstatus – es macht keinerlei Sinn so weiter zu machen.
    Erstaunlicherweise spricht mich Ihr Artikel besonders an, die Anspannung und das Anti-Depri/Übergew./Schmerzen-Programm ist enorm. Jetzt suche ich gezielt ältere Frauen oder Frauen die Kapazitäten haben, andere in Krisensituationen aushalten zu können – der Weckruf – wenn ich mich beruhige, kommt es wieder – schau hin, handle klug, es macht so keinen Sinn – noch mehr Gleichgesinnte – die Mut machen und Zuspruch geben.

    Faktisch ist so ein Blog um soviel besser, als ein sicher lieb gemeinter kurzer Spruch auf irgendeinem Messenger.

    Schön, dass ich Euch gefunden habe, dann ist man allein und nicht mehr einsam.

    Anja

    1. Hallo Anja,

      danke schön 🙏 für deine Worte, dafür dass du hinschauen möchtest, deinen Kommentar, dass du hier hin gefunden hast, für deinen Mut und auch deine Anerkennung, dass auch du eine 🦸‍♀️ Heldin bist!
      Du kannst Heike gerne direkt kontaktieren, sie ist ja hier im Beitrag verlinkt.

      💞 Grüße

      Jay

    2. Liebe Anja,

      vielen Dank für den Kommentar. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Frauen Heldinnen sind und Du scheinst ja auch schon einiges ausgehalten zu haben. Ja, das Leben ist wirklich kein Ponyhof, aber es liegt auch an uns, ob wir aufstehen und weitergehen, oder einfach liegenbleiben. Schön, dass Du die Heldinnen gefunden hast. Hier merke ich immer wieder, wie stark Frauen auch in schwierigen Umständen sein können. Und Du hast so recht: allein sein ist kein Problem (für mich jedenfalls nicht). Aber das Gefühl, einsam zu sein, niemanden zu haben, mit dem man sich austauschen kann oder der einfach nur ein offenes Ohr hat – unbezahlbar.

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